Strümpfe
Strümpfe, Zeit und Herkunft unbekannt. D-Braunschweig, Staatliches Naturhistorisches Museum (MS-Inventar 47)
1 Paar Strümpfe aus Muschelseide, Italien, letztes Drittel 18. Jahrhundert (frühester Nachweis) L. 76,5 cm, Gewicht 52 g/Strumpf. Dichte: 8 Maschen und 9 Reihen/cm; Garndrehung: z/S-zweifach-Zwirn; Grund: Rechte Maschen; Muster: Linke Maschen (seitlich über zwei aus der Ferse aufsteigenden Linien, die sich in Wadenhöhe treffen, kleines Ornament aus Rauten). (Jordan-Fahrbach 2004)
Obwohl in der Literatur häufig Strümpfe aus Muschelseide erwähnt werden, konnten bis heute erst zwei Paar gefunden werden. Diese Strümpfe gehören dem Naturhistorischen Museum Braunschweig und stammen ursprünglich aus dem Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinett, das Karl I., Herzog von Braunschweig und Lüneburg (1713-1780) 1754 in der Burg Dankwarderobe eingerichtet hatte. Sie gelangten 1857 in das daraus entstandene Naturhistorische Museum. Unter der Nr. 1043 der Beschreibung oder Inventarium des Herzog[lichen] Braunschweig[ischen] Museum findet sich Ein Paar Strümpfe, so von der bey allen Steckmuscheln sich findenden Seide, bissus genannt, verfertiget sind (Staatliches Naturhistorisches Museum, Akte 8, Conchylien-Inventar; Jordan-Fahrbach 2004).
Diese Strümpfe zeigen exemplarisch, wie Textilien aus Muschelseide ihren Weg aus ehemaligen privaten Sammlungen in die heutigen naturhistorischen Museen fanden – wo ein Grossteil der bis heute gefundenen Objekte liegt. Was wir damit aber noch nicht wissen ist, wo die Strümpfe hergestellt wurden, wann und wie sie in die fürstliche Sammlung kamen. Machen wir uns auf die Suche.
Herzog August der Jüngere (1579-1666) unternahm in den Jahren 1598 bis 1603 Kavaliersreisen, wie es damals beim Adel zur Vervollständigung der Bildung üblich war. Sie führten ihn auch nach Italien. Das Original seines nüchternen, aber alle Stationen aufzeigenden Reisetagebuches ist in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel aufbewahrt. In den von Dr. Maria von Katte transkribierten Auszügen finden wir am 25. Oktober 1599 – er befindet sich an diesem Tag in Montelione (Kalabrien) – den Eintrag: allda vielle Seide zufinden, die nach Neapel ausgeführt wird. Nichts weist aber darauf hin, dass es sich dabei um Muschelseide handelte.
Vielleicht könnte Herzog Augusts ebenfalls überlieferte ausführliche Korrespondenz mit seinem Kunstagenten in Augsburg, Philipp Hainhofer (1578-1647) Auskunft geben? Hainhofer stammte aus einer Augsburger Tuchhändlerfamilie mit einer Niederlassung in Florenz und hatte an oberitalienischen Universitäten studiert. In den von Ronald Gobiet 1984 bearbeiteten Briefen ist oft von Textilien die Rede: Baumwolle, Florentiner und Mailänder Leinwand, Atlas, Samt, Taft, grüne und spanische Seide. Am 15. Dezember 1644 ist eine Lieferung von 4. Baar gfarbten seÿdinen strimpfen… erwähnt. Aus welchem Material ist leider nicht vermerkt.
Auch mehrere seiner Nachfolger reisten auf ihrer Grand Tour nach Italien und erweiterten das Kabinett. Brachte einer von ihnen die Strümpfe als Souvenir nach Hause? Vielleicht Carl Wilhelm Ferdinand (1737-1813), der 1765 in Neapel Sir William Hamilton traf, dessen Frau, Lady Hamilton, von ihrem späteren Geliebten Lord Nelson Handschuhe aus Muschelseide geschenkt bekommt? Oder waren sie Geschenk eines der zahlreichen jungen Adligen, die auf der Rückreise aus Italien das bereits berühmte Braunschweiger Kabinett besuchten? Wir wissen es nicht und forschen weiter.
Die Strümpfe wurden erstmals anlässlich des 250. Jubiläums des Naturhistorischen Museums und des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig in der Ausstellung Von den fürstlichen Sammlungen zum Museum der Aufklärung gezeigt. Im Katalog sind sie abgebildet und beschrieben (Ahrens 2004).
Restaurierung von Strümpfen und Kriterien für Aufbewahrung und Ausstellungspräsentation: 2004 führte Eva Jordan-Fahrbach, Textilrestauratorin am Anton Ulrich-Museum Braunschweig, die Analyse und Restaurierung der Strümpfe durch: Die Einbettung einer einzelnen Faser in Kunstharz zeigte den elliptischen Querschnitt der Muschelseide, wie keine andere natürliche Faser ihn ausweist. Nach einer ersten mechanischen Reinigung mit Hilfe eines Mikrosaugers wurden verbleibende Verschmutzungen mit speziell angefertigten „Groomsticks“ entfernt. Rollt man diese mit Acrylharzkleber beschichteten Wattestäbchen über das Objekt, so bleiben Schmutzpartikel an ihnen haften. Die zahlreichen Mottenlöcher wurden anschliessend mit kleinen Gestricken aus eingefärbter Seide unterlegt.
Dringend notwendig sind Grundlagen für die langfristige Aufbewahrung der Objekte. Grösster Schädling ist die Motte. Regelmässige, möglichst halbjährliche Kontrollen auf Mottenbefall sind unabdingbar – oder zumindest im Frühjahr, wenn die Motten fliegen. Zum Schutz eignen sich Nelkenöl oder Lavendelsäckchen in den Kästen oder Schubladen sowie im Raum angebrachte Pheromonfallen. Dabei dürfen die Öle keinen direkten Kontakt mit den Objekten haben. Die Textilien müssen liegend im Dunkeln gelagert werden, ohne Belastung, da Bruchkanten gefährdete Stellen sind. Als Polster und Abdeckung kommt Baumwolle nur dann in Frage, wenn die Luftfeuchtigkeit konstant bei 50% oder tiefer liegt. Bei höherer relativer Luftfeuchtigkeit sollte nur Polyester als Vlies oder Gewebe verwendet werden, weil es extrem wenig Feuchtigkeit bindet und so einer möglichen Schimmelbildung vorbeugt.
Auch bei der Ausstellungspräsentation sollten relative Luftfeuchtigkeitswerte von ca. 50% möglichst konstant eingehalten werden. Das stete Quellen und Schrumpfen infolge häufiger Schwankungen führt ebenso wie eine zu starke Beleuchtung zum Verlust der inneren Festigkeit, so dass die Fasern schneller altern. Lichtstärken von 50 Lux sollten nicht überschritten werden. Doppelt liegende Objekte (Handschuhe, Strümpfe) dürfen nicht unnötig gequetscht und somit nicht in Bilderrahmen gepresst werden. Bei Temperaturschwankungen können sich auf der kalten Glasoberfläche geringste Feuchtigkeitsmengen niederschlagen, welche die Alterung beschleunigen. (Jordan-Fahrbach 2004)